Die Nachdenkseiten haben gestern eine redaktionelle Auswahl von Leserbriefen publiziert, die das repräsentieren, wie sie sich selber gerne sehen. Es handelt sich im Kern um eine Anerkennung des sie mit «Spenden» bezahlenden Publikums, erkennbar im Beitrag eines sprichwörtlichen alten weissen Mannes aus dem Prekariat: «Für einen Ostrentner sind natürlich Spenden schwierig.»

Wo Jens Berger kommentiert: «ich übernehme kein „Narrativ des Mainstreams“, sondern lehne zahlreiche Positionen der AfD in der Tat rundum ab. (…) Wenn Sie von „gesteuerter Masseneinwanderung“, „Genderismus“ oder „Klima-Hysterie“ sprechen, ist dies schlicht nicht meine Sichtweise. Aber es lohnt wohl nicht, sich darüber zu streiten.» - dann reagiert er damit auf folgende genretypische rhetorische Nicht-Frage: «Vielleicht können Sie mir die Positionen der AfD aufzeigen (vielleicht bei Björn Höcke), die mit einer demokratischen und sozialen Haltung absolut inkompatibel sind. Ich finde sie bisher nicht.» - also ausdrücklich auch nicht beim bundesweit bekannten Faschisten Björn Höcke.

Die als Solche unzweideutig erkennbare, auf rechtsradikalen Webseiten täglich ausgewalzte Rhetorik kommentiert Berger bloss mit: «In einer Demokratie ist es vollkommen normal, dass es hier unterschiedliche Sichtweisen gibt.» Und all diese «Sichtweisen» sind selbstverständlich in ihrer Funktion als Nachdenkseiten-Sponsoren herzlich willkommen und finden die ihnen dadurch gebührende Anerkennung als «vollkommen normal»!

Auch die in rechtsradikalen Online-Echokammern in Dauerschleife wiederholte Zitat-Fälschung: «Adorno hat es in den 60er Jahren vorausgeahnt: Die Wiederkehr der Faschisten in der Verkleidung von Demokraten und Liberalen.» durfte in einem Leserbrief zuvor nicht fehlen: In rhetorischer Umkehrung denunziert der Bildungsbürger aus einer deutschnational-faschistischen Position heraus die tatsächlich Bürgerlichen als Faschisten.

In einem Leserbrief danach folgt die in eine rhetorische Nicht-Frage mündende bekannte rechtsextreme Lüge: «Als außenstehender Österreicher würde ich gern erfahren, worin sich die “Fremdenfeindlichkeit” der AfD manifestiert. Sollte darunter bloß die Ablehnung der weiteren Zuwanderung von “Schutzsuchenden” verstanden werden, die diesen Schutz unbestrittenermaßen nicht verdienen, dann kann ich darin nichts Anstößiges erkennen. (…) Ich lasse mich jedoch gern eines besseren belehren, wenn Sie mir dabei helfen.» - darauf antwortet Berger mit: «wenn Sie Asylbewerbern den Schutz absprechen, lohnt sich die Debatte ja nicht». Um diese angeblich nicht-lohnende «Debatte» im Konkurrenzkampf um Spendengelder werbewirksam zu führen, hat er den Leserbrief aber erst veröffentlicht!

Aus einem weiteren Leserbrief: «Weswegen ich Ihnen aber schreibe, ist Ihre Bezeichnung „nationalchauvinistische Partei“. Könnten Sie mir das bitte erläutern? Ich habe nämlich beim Zuhören einzelner AfD Abgeordneter und beim Lesen des Parteiprogramms festgestellt, dass ich in Fragen des Nationalstaats und Demokratie ähnlich denke.» Dann die dreiste Lüge: «Ich halte mich nicht für fremdenfeindlich, finde es aber berechtigt, wenn Frau Wagenknecht feststellt, dass Einwanderer mit unseren Geringverdienern am Arbeits- und Wohnungsmarkt konkurrieren, Einwanderung also geregelt werden sollte.» - die spezifische Lüge besteht darin, die Tatsache zu bestreiten, dass die «Einwanderung» im Allgemeinen bzw. das politische Asyl juristisch peinlich genau geregelt ist.

Ein AfD-Wähler schreibt: «In Ihrem Artikel fassen Sie die AfD mit spitzen Fingern an und versteigen sich dann im letzten Absatz zu der Behauptung „aus guten Gruenden die falsche Partei waehlen“. (…) Aber stellen Sie nicht solche Behauptungen in den Raum, das kann Ihnen ganz viel Reputation kosten! Von solchen Autoren gibt es auf Der Achse genug, denen schlaegt auch ordentlich der Wind entgegen, wenn sie unbewiesene Behauptungen aufstellen. Dass die Achse generell ein Problem mit der AfD hat, damit muessen sie selber leben. Aber die NDS haben das Thema AfD bis jetzt gut und neutral behandelt. Bitte lassen Sie es so und folgen Sie nicht den Achsen und den Tichys und den Reitschusters. Eine Seite ohne AfD Bashing muss doch moeglich sein.» Berger wiegelt darauf ab: «Wenn Sie den Artikel vorurteilsfrei lesen würden, würden Sie sogar merken, dass ich explizit über das übliche AfD-Bashing aufrege. Das heißt im Umkehrschluss aber noch lange nicht, dass ich die Positionen der AfD teile.» Er «teilt» sie rhetorisch nicht, lässt sich aber in der Zuschrift unwidersprochen dafür loben, die Nachdenkseiten klar rechts von den genannten Erzeugnissen rechter Publizistik mit (an den dortigen Kommentaren erkennbar) dezidiert rechtsradikalem Zielpublikum zu positionieren.

Der wie üblich einzige veröffentlichte (weil kurze) Kritik mündet in: «Mit Verlaub, der Artikel ist so überflüssig wie ein Kropf… es sei denn, der Autor versucht hier nach rechts zu mobilisieren.» Wie eben gezeigt: exakt das tut Jens Berger als umtriebiger Geschäftsmann mit seiner Positionierung der Nachdenkseiten im wirtschaftlich um Spendengelder konkurrierenden rechten (bzw. rechtsradikalen) Spektrum der Online-Publizistik.

Danach folgt ein weitere Beitrag eines AfD-Wählers mit derselben rhetorischen Nicht-Frage wie oben: «ich möchte jetzt wirklich mal wissen warum gibt es Anlass zur Sorge wenn die AFD einen Stimmenzuwachs verzeichnet? Ist die Fremdenfeindlichkeit so schlimm und welche reaktionären Wertevorstellungen hat denn die AFD? Ganz konkret bitte, was ist so schlimm, ich hätte es gerne mal gewusst.» Es folgt die gegenwärtig in vielen rechtsradikalen Foren wiedergekäute Idee des Traumpaares Weidel&Wagenknecht: «Sie sehen, Alice Weidel rechts, Sarah Wagenknecht links, beide sehr vernünftige Ansichten, beide könnten in der gleichen Partei sein. Also mir ist egal wie die Partei heißt, man achte auf die Worte und die Taten.» Berger dazu nur: «Es mag sein, dass die AfD in gewisser Art einer „CSU vor 30 Jahren entspricht“. Vor 30 Jahren wäre ich aber auch nie auf die Idee gekommen, die CSU zu wählen und hätte Anlass zur Sorge gehabt, wenn die CSU große Stimmengewinne verzeichnet hätte.»

In einem weiteren Beitrag die übliche rhetorische Pseudodistanzierung von der AfD seitens (zukünftiger) AfD-Wähler*innen: «Ich habe nie in Erwägung gezogen die AFD zu wählen, muss aber feststellen, dass sie zu Corona und dem Ukraine Krieg die einzige echte Opposition im Bundestag stellen. Da ich in Ihnen in der Coronazeit die einzige Partei erkenne, die die richtigen Fragen stellt und kompetente Fachleute in den Bundestag einlädt, bin ich mir gar nicht mehr so sicher. In Hinblick auf totalitäre Bestrebungen der AFD kann es für mich als Ungeimpfte und Pazifistin wahrscheinlich auch nicht schlimmer kommen.»

Eine von Berger unkommentierte Zusendung (er stimmt also zu) enthält: «Im Stimmengewinn der AfD zeigt sich nicht der Faschismus, sondern der Wille von Wählern, die Sanktionspolitik gegen Russland aufzuheben und durch Wirtschaftsbeziehungen zu Russland auch unseren industriellen Standort zu sichern.» - so plakativ das traditionelle Bündnis vom de facto proletarischen Kleinbürgertum mit Faschisten wie Höcke, ein Proletariat, das sich identifizierend um «unseren industriellen Standort» sorgt.

Der prominent am Schluss stehende wiederholte Leserbrief zu einem anderen Artikel hebt an mit: «es ist ja schön und richtig, dass Sie die Rolle Selewskys richtig einordnen, aber muss man im gleichen Atemzug Putin einen Verbrecher nennen? Jemand der aus Notwehr handelt ist kein Verbrecher. Und wie anders soll man es bezeichnen, wenn die Alternative hieß, warten bis die Ukraine in der Nato und so hochgerüstet ist, dass sie die Russen im Donbass und in der Krim locker massakrieren kann.» - die kriegsrhetorische Umkehrung, eine völkerrechtswidrige militärische Invasion als «Notwehr» zu legitimieren, wird dann mit dem obligaten Hinweis auf «Israel» konsequent auf die Spitze getrieben, von der Redaktion für die Schnell-Scroller*innen gezielt unübersehbar ganz am Schluss der Seite positioniert, schliesslich gehören auch gestandene Antisemit*innen zum geschätzten (da bezahlenden) Nachdenkseiten-Publikum: «Wurden die Israelis aufgrund des präventiv begonnenen 6-Tage Krieges als Verbrecher bezeichnet (…)?»

Nachtrag 21.10: Matthias Meisner (Mitglied der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne) ist das Problem mittlerweile auch aufgefallen und auf dem Volksverpetzer dokumentiert unter dem Titel «Nachdenkseiten: Einst links, jetzt Propaganda für Rechtsradikale». Dort erwähnt wird auch deren unsägliches Interview mit Moreen Thümmler vom sogenannten «Forum für Demokratie und Freiheit». Im Volksverpetzer-Artikel Artikel sind auch indirekt deren unsägliche «21 Thesen» verlinkt, die (entgegen der Behauptung im Nachdenkseiten-Interview) eben nicht einfach «online nachzulesen», sondern gut verborgen sind im Hidden Web (der Kurzlink führt auf Faksimilie-Bilder in einem Twitter-Thread), hier extrahiert zur Dokumentation: 1 2 3. Am Schluss des Interviews exemplarisch der Ton, wie heutige Nazis reden, geradezu ein zeitgenössisches Schibboleth, mit dem sich die öffentlich nur besorgt gebenden (Reichs-)Bürger*innen als Nazis erkennen: «Die über Jahrzehnte aufgebauten Mauern sind noch in vielen Köpfen vorhanden, Ost – West, Links – Rechts. Wir sind vor allem eins: Menschen! Eine Gemeinschaft! Dahin möchten wir. Zusammen mit möglichst vielen Menschen eine gute Gesellschaft für alle aufbauen.»